Die Zukunft des Reisens

Während wir uns nach der Pandemie langsam wieder aus unseren Höhlen wagen, erscheint die Welt, die wir zu kennen glaubten, in einem ganz neuen Licht. Wir müssen neue Wege finden, sie zu entdecken, sagt Yolanda Edwards, Gründerin des Yolo Journals. Reisen, nicht Tourismus. Vorschläge, keine Anweisungen. Tieftauchen, kein Inselhopping. Und wenn Sie gerade keine Reise machen können, bleibt Ihnen immer noch die Fantasie.

„Die Industriemaschinerie läuft wieder, aber ich habe keine Lust mehr auf Kurztrips. Wenn ich einen Ort besuche, dann möchte ich ihn richtig kennenlernen und fühlen.”

Die Innenräume des Palazzo Daniele, eines exklusiven Hotels in einem Palast von 1861 in Salento, Italien. Foto von Adrian Gaut, Yolo Journal, Ausgabe 3.

Aus Sicht vieler Menschen haben Sie einen Traumberuf. Wie schlägt man sich als Reisejournalistin durch?

Ich habe in den 1990er-Jahren bei Condé Nast Traveller in New York City angefangen. Es war einer meiner ersten Jobs. Ich war die Juniormitarbeiterin im Team der Fotoabteilung. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nichts über Fotografie oder Reisen, aber ich wusste, was mir gefällt, und ich habe viel bei der Arbeit gelernt, weil ich alle Portfolio-Meetings für Fotografen persönlich durchgeführt habe. Das war vor dem Internet, es gab noch keine Websites. Fotografen brachten ihre Portfolios an einem Mittwoch vorbei und an einem Freitag holten sie sie wieder ab und trafen sich mit uns. Wir haben damals mit den ganz Großen geshootet – Helmut Newton, David LaChapelle, Philip-Lorca diCorcia. Ich traf mich mit den jüngeren Fotografen, die in das Magazin wollten, was bekanntermaßen schwierig war. Ich setzte mich zu ihnen und bat sie, mir von den Orten zu erzählen, die sie fotografiert hatten – wie sie tatsächlich im wirklichen Leben aussahen. 

Was für ein Gefühl war es, als Sie schliesslich Creative Director bei Condé Nast Traveller wurden?

Ich war oft frustriert, weil immer noch sehr traditionell gearbeitet wurde und ich wusste, welche spannenden Geschichten es da draußen gab, die nicht erzählt wurden. Ich habe meine eigene Art entwickelt, Fotografen zu interviewen, wenn sie von ihren Aufträgen zurückkamen, und schrieb dann die Geschichten ihrer Erfahrungen auf. Schönes Schreiben interessierte mich nicht so sehr – ich war hinter den großen Geschichten her. Da das Geld aus dem Verlagswesen abfließt und immer weniger Budget bereitsteht, um Autoren an sämtliche Orte zu schicken, ist meine ungewöhnliche Methode immer beliebter geworden. Fotografen können interviewt werden und wir können daraus etwas Schönes machen. 

Warum haben Sie das Yolo auf den Markt gebracht und wie hat sich das Magazin behauptet?

Ich habe Yolo ins Leben gerufen, um das Reisen in einer stärker ganzheitlichen Form zu zelebrieren. Zu der Zeit kannte ich viele Fotografen und wusste, dass sie auf Bergen unveröffentlichter Arbeiten saßen. Wenn wir jemanden beauftragten, an einem Ort Fotos zu machen, veröffentlichten wir einen Teil seiner Reiseaufzeichnungen. Bei Yolo geht es um die Reisestimmung, nicht um die Tourismusindustrie. Es soll eher anregen als vorschreiben und wir hoffen, dass dieser Ansatz die Menschen mehr anspricht. Mit Digital- und Printmedien in Kombination besteht die Möglichkeit, etwas zu schaffen, das sich lebendig anfühlt und nicht nur aufgezeichnet oder dokumentiert ist. Wir sind alle noch dabei zu lernen, wie digitale Medien das Reiseerlebnis verbessern können. Es ist eine fortlaufende, sich ständig weiterentwickelnde Landschaft, die ich sehr spannend finde.

Freuen Sie sich immer noch darauf, neue Orte zu entdecken, oder fasziniert es Sie eher, zu vertrauten Lieblingsorten zurückzukehren?

Es ist für mich eine Balance zwischen beidem. Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen wegen der vielen Orte, an denen ich noch nicht war. Es gibt einige große Löcher. Ich war zum Beispiel noch nie in New Orleans oder in Texas. Die Möglichkeit, etwas Neues zu erkunden, ist immer wunderbar. Ich war vor einigen Jahren zum ersten Mal in Chile und es war unglaublich. Aber es spricht einiges dafür, das zu tun, womit man sich wohlfühlt, und ich glaube, im Herzen bin ich ein Gewohnheitstier. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich in Italien war.

Ethik, Umwelt und Tourismus passen nicht so gut zusammen. Was meinen Sie dazu?

Während der Pandemie haben wir alle viel intensiver über unser Reiseverhalten nachgedacht und uns gefragt, was egoistisch ist und was wir ändern könnten. Viele Menschen reisten ohne Rücksicht und Gewissen, stiegen ins Flugzeug, um die Eröffnung eines Einkaufszentrums am anderen Ende der Welt zu erleben. Es ist so wichtig, über unser Verhalten und unseren Einfluss auf die Umwelt nachzudenken. Das richtige Engagement ist wichtig. Ich für meinen Teil mag es, Orte zu besuchen und ausgiebig zu erkunden. Es ist das Gegenteil von Kreuzfahrten, bei denen man in den Hafen einläuft, an Land geht und kurz an der Oberfläche kratzt, bevor man wieder an Bord geht und den nächsten Ort ansteuert.

Wie können wir als Reisende verantwortungsvoller werden?

Menschen reisen auf alle möglichen Arten. Wenn ich irgendetwas tun kann, um ihnen das Gefühl zu geben, dass sie reisen können und dass Reisen ihr Leben verändern wird, dann ist das meine Mission. Ich möchte die Leute ermutigen, nicht auf Kreuzfahrten zu gehen: Geht stattdessen spazieren, nehmt den Zug, erkundet ein anderes Stadtviertel. Tauchen Sie tiefer in Ihre Umgebung ein.

Strand bei Positano an der sommerlichen Amalfiküste. Foto von Lucy Laucht, Yolo Journal, Ausgabe 9.

Welches sind Ihre Erfahrungen mit der Pandemie und wie war es, so lange an einem Ort zu sein?

Wir haben ein Landhaus im Bundesstaat New York, in dem wir die meiste Zeit des Lockdowns verbracht haben. Zur Unterhaltung und Entspannung habe ich mit zwei Freundinnen, Emily Fitzroy (von Bellini Travel) und Marie-Louise Scio (Geschäftsführerin der Pellicano-Gruppe), auf Instagram einen imaginären Roadtrip durch Italien gemacht. Wir haben eine Kurzreise zu unseren Lieblingsorten mit Fotos von früheren Reisen veröffentlicht. Es hat extrem viel Spaß gemacht. Aber wir haben tatsächlich von vielen Leuten Nachrichten bekommen mit der Frage, wie wir das trotz der Beschränkungen geschafft haben! Wie es scheint, lesen nur wenige Leute den Text. 

Glauben Sie, dass sich unser Denken über und unsere Herangehensweise an das Reisen verändert haben?

Ich denke, wir entschleunigen und ziehen gerade Bilanz, und das ist gut so. Die Hektik des Lebens vor Corona fühlt sich jetzt altmodisch an. Die Industriemaschinerie läuft wieder, aber ich habe keine Lust mehr auf Kurztrips. Wenn ich einen Ort besuche, dann möchte ich ihn richtig kennenlernen und fühlen. Wir können unsere Reisen weniger flüchtig und sprunghaft gestalten. Davon würden alle profitieren.

Nennen Sie mir einen Ort, an dem Sie den Rest Ihres Lebens verbringen könnten.

Ich lebe zurzeit hier in Rom und ich muss sagen, es gefällt mir ziemlich gut. Im Vergleich zu New York oder Paris ist es überschaubar. Man hört nicht ständig Sirenen. Die Größe der Stadt ist genau richtig und es gibt so viel zu entdecken. Ich kann nicht mitten im Nirgendwo leben, ich brauche Gemeinschaft und Anschluss an Menschen.

Sonnenuntergang durch die Palmen des Round Hill Resort, Jamaica. Foto von Sean Gale Burke, Yolo Journal, Ausgabe 9.

Das kavernenartige Zimmer im Bürgenstock Hotel in der Schweiz, wo man im Salzwasser schweben kann. Foto von Jonathan Ducrest, Yolo Journal, Ausgabe 3.

Die Empfangshalle des Palazzo Daniele in Salento, Italien, im Spannungsfeld zwischen Geschichte und Modernität. Foto von Adrian Gaut, Yolo Journal, Ausgabe 3.